«Wir müssen einen Weg finden, erneuerbare Energien zu importieren» (1/2)

Mindestens zehn Jahre hat die Schweiz gemäss Dr. Peter Richner auf ihrem Weg in eine erneuerbare Energiezukunft verschlafen. Was nun dringend zu tun ist und wieso er die gesetzliche Verankerung des Atomausstiegs für einen grossen Fehler hält, erklärt der stellvertretende Empa-Direktor im Interview.

Luc Descombes
19. März 2023
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Foto: zVg - Dr. Peter Richner, Stv. Direktor Empa und Leiter des Departements Ingenieurswissenschaften.

Wie beurteilen Sie aktuell den Fortschritt der Schweiz in Richtung erneuerbare Energiezukunft?

Man muss es leider so deutlich ausdrücken: Wir haben vieles verschlafen und mindestens zehn Jahre verloren. Es gäbe so viele Lösungen, die von Forschung und Industrie in den letzten Jahren entwickelt wurden. Leider wollte man diese bisher kaum nutzen. Beispielsweise hat sich bei der Solarkraft bei uns im Vergleich zu anderen Ländern bis vor zwei bis drei Jahren fast nichts getan, was nicht allein die Verantwortung der Politik ist. Wir, als Gesellschaft, haben uns für eine Energiestrategie entschieden. Darauf haben wir aber kaum Taten folgen lassen.

Wie beurteilen Sie aktuell den Fortschritt der Schweiz in Richtung erneuerbare Energiezukunft?

Man muss es leider so deutlich ausdrücken: Wir haben vieles verschlafen und mindestens zehn Jahre verloren. Es gäbe so viele Lösungen, die von Forschung und Industrie in den letzten Jahren entwickelt wurden. Leider wollte man diese bisher kaum nutzen. Beispielsweise hat sich bei der Solarkraft bei uns im Vergleich zu anderen Ländern bis vor zwei bis drei Jahren fast nichts getan, was nicht allein die Verantwortung der Politik ist. Wir, als Gesellschaft, haben uns für eine Energiestrategie entschieden. Darauf haben wir aber kaum Taten folgen lassen.

Nicht nur beim Solarausbau geschlafen
Visualisierung des Ausbaus der Solarenergie in der Schweiz
Nicht nur der Ausbau der Solarenergie wurde in der Schweiz gemäss Richner verschlafen.
Empa
Ausbau der Solarenergie international
Weltweit ist im Gegensatz zur Schweiz ein exponentieller Zuwachs von Solaranlagen erkennbar.
Empa

Die Menschheit ist träge – braucht es nicht zuerst etwas Zeit, bis der Stein ins Rollen kommt?

Ja, es muss zuerst weh tun, weil man rationalen Argumenten gegenüber offenbar zu wenig zugänglich ist. Unsere Gesellschaft war nicht bereit, die Prämie für eine starke inländische erneuerbare Stromversorgung zu bezahlen. Lieber verharrte man in einer vermeintlich günstigeren Abhängigkeit vom Ausland.

Ziel ist es, die Schweizer Energieversorgung bis 2050 zu elektrifizieren. Gleichzeitig muss die Stromversorgung aber jederzeit gesichert bleiben. Angesichts der heutigen Krisen, glauben Sie, dass diese beiden Ziele unter einen Hut zu bringen sind?

Im Endzustand, wie er für das Jahr 2050 geplant ist, auf jeden Fall. Das wird funktionieren. Aber die Frage ist jetzt, wie wir vom alten ins neue Energiesystem gelangen, ohne dass es auf dem Weg dahin problematisch wird. Dieses Problem wird durch den Ukrainekrieg allen vor Augen geführt.    

Die Menschheit ist träge – braucht es nicht zuerst etwas Zeit, bis der Stein ins Rollen kommt?

Ja, es muss zuerst weh tun, weil man rationalen Argumenten gegenüber offenbar zu wenig zugänglich ist. Unsere Gesellschaft war nicht bereit, die Prämie für eine starke inländische erneuerbare Stromversorgung zu bezahlen. Lieber verharrte man in einer vermeintlich günstigeren Abhängigkeit vom Ausland.

Ziel ist es, die Schweizer Energieversorgung bis 2050 zu elektrifizieren. Gleichzeitig muss die Stromversorgung aber jederzeit gesichert bleiben. Angesichts der heutigen Krisen, glauben Sie, dass diese beiden Ziele unter einen Hut zu bringen sind?

Im Endzustand, wie er für das Jahr 2050 geplant ist, auf jeden Fall. Das wird funktionieren. Aber die Frage ist jetzt, wie wir vom alten ins neue Energiesystem gelangen, ohne dass es auf dem Weg dahin problematisch wird. Dieses Problem wird durch den Ukrainekrieg allen vor Augen geführt.    

Foto zeigt Peter Richner, Stellvertretender Direktor der Empa
Dr. Peter Richner ist stellvertretender Direktor der Empa und Departementsleiter Ingenieurswissenschaften. Der Wissenschaftler ist spezialisiert im Bereich des energieeffizienten Bauens und leitet gemeinsam mit einem Kollegen den Forschungsschwerpunkt "Nachhaltiges Bauen".

Was muss nun getan werden?

Wir müssen jetzt dringend die inländische erneuerbare Energieproduktion vorantreiben. Vor allem die Sonnen- und Wasserkraft. Aber auch die Windkraft, die vor allem im Winter ihren Beitrag leisten kann. Zweitens müssen wir massiv in die Energieeffizienz investieren. Hier besteht ein riesiges Potenzial, das sich relativ einfach erschliessen lässt. Durch die Optimierung unseres Stromverbrauchs können wir massgeblich den Druck aus dem Energiesystem nehmen und das Stromnetz entlasten.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

In der Schweiz werden tausende von Ferienwohnungen den ganzen Winter hindurch voll beheizt, auch wenn grösstenteils niemand da ist. Dabei gäbe es einfache Möglichkeiten, die Beheizung via Smartphone zu steuern. Wenn man nicht da ist, fährt man die Temperatur auf 14 Grad herunter und dann wieder hoch, wenn man vorhat, sich dort aufzuhalten. Man spart Energie und Kosten ohne Komforteinbussen. Das ist nur ein Beispiel für das riesige Potenzial, das wir einfach noch nicht ausgeschöpft haben.

Wir werden immer eine gewisse Abhängigkeit vom Ausland haben in der Stromversorgung

Angenommen, wir optimieren unseren Energieverbrauch bis 2050. Können wir dann in der Schweiz genug erneuerbare Energie produzieren, um unseren Bedarf selbst zu decken?

Nein, wir werden immer eine gewisse Abhängigkeit haben vom Ausland, denn im Winter gibt es bei uns zu wenig erneuerbare Energie. Aber Energieautarkie ist meines Erachtens auch weder nötig noch sinnvoll. Wir müssen einen Weg finden, erneuerbare Energie im Winter aus unterschiedlichen Weltregionen zu importieren. Sie wird ganz sicher nicht aus Europa stammen. Denn unsere Nachbarn haben alle das gleiche Problem.

Was muss nun getan werden?

Wir müssen jetzt dringend die inländische erneuerbare Energieproduktion vorantreiben. Vor allem die Sonnen- und Wasserkraft. Aber auch die Windkraft, die vor allem im Winter ihren Beitrag leisten kann. Zweitens müssen wir massiv in die Energieeffizienz investieren. Hier besteht ein riesiges Potenzial, das sich relativ einfach erschliessen lässt. Durch die Optimierung unseres Stromverbrauchs können wir massgeblich den Druck aus dem Energiesystem nehmen und das Stromnetz entlasten.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

In der Schweiz werden tausende von Ferienwohnungen den ganzen Winter hindurch voll beheizt, auch wenn grösstenteils niemand da ist. Dabei gäbe es einfache Möglichkeiten, die Beheizung via Smartphone zu steuern. Wenn man nicht da ist, fährt man die Temperatur auf 14 Grad herunter und dann wieder hoch, wenn man vorhat, sich dort aufzuhalten. Man spart Energie und Kosten ohne Komforteinbussen. Das ist nur ein Beispiel für das riesige Potenzial, das wir einfach noch nicht ausgeschöpft haben.

Wir werden immer eine gewisse Abhängigkeit vom Ausland haben in der Stromversorgung

Angenommen, wir optimieren unseren Energieverbrauch bis 2050. Können wir dann in der Schweiz genug erneuerbare Energie produzieren, um unseren Bedarf selbst zu decken?

Nein, wir werden immer eine gewisse Abhängigkeit haben vom Ausland, denn im Winter gibt es bei uns zu wenig erneuerbare Energie. Aber Energieautarkie ist meines Erachtens auch weder nötig noch sinnvoll. Wir müssen einen Weg finden, erneuerbare Energie im Winter aus unterschiedlichen Weltregionen zu importieren. Sie wird ganz sicher nicht aus Europa stammen. Denn unsere Nachbarn haben alle das gleiche Problem.

Was könnte die Lösung sein?

Power-to-gas: man importiert chemische Energieträger wie Wasserstoff oder synthetisches Methan, die in Gegenden der Welt produziert werden, in denen es erneuerbare Energie im Überfluss gibt. Entscheidend ist dabei, dass man diversifiziert und aus unterschiedlichen Weltregionen importiert. Sonst begeben wir uns wieder in ein Klumpenrisiko der Auslandabhängigkeit, so wie wir es heute erleben. Neben dem Nahen Osten könnten die erneuerbaren Energieträger zukünftig z.B. auch aus Island, Patagonien oder Australien kommen.

Im Oman wird heute bereits Sonnenstrom für 1-2 Rappen pro kWh produziert. Da ist Effizienz kein Thema mehr

Bei der Produktion solcher Energieträger geht sehr viel erneuerbare Energie in Form von Abwärme verloren, ist das nicht ineffizient?

Ist es, aber das spielt dann keine Rolle mehr. Auf unserem Planeten gibt es grundsätzlich erneuerbare Energie im Überfluss. Im Oman zum Beispiel produziert man heute bereits Sonnenstrom für 1-2 Rappen pro Kilowattstunde. Bei so günstigen Preisen ist dieser Umwandlungsverlust nicht mehr relevant. Die Frage ist viel mehr, ob die Technologie systemdienlich ist.

Die Energiewende hängt auch massgeblich davon ab, ob es uns gelingt, Sonnenenergie hierzulande vom Sommer in den Winter zu bringen. Was gilt es hier zu tun?

Wir brauchen mehr Energiespeicher in der Schweiz. Dazu müssen wir jetzt endlich neue Pumpspeicherkraftwerke bauen und bestehende, wie den Grimsel, ausbauen. Gleichzeitig müssen wir noch viel kräftiger in die Digitalisierung des Stromnetz’ investieren, um es bereit zu machen für dynamische bidirektionale Energieflüsse, mit denen es zukünftig umgehen muss. So können dann auch Elektroautos als Speicher für das Stromnetz erschlossen werden. Kurzfristige Lastspitzen im Energiesystem lassen sich damit brechen, was die Netzstabilität verbessert. Hier würde ich mir ein schnelleres Tempo wünschen.

Den Atomausstieg im Gesetz zu verankern, war einer der grössten Fehler

Pumpspeicher sind das eine - was halten Sie von chemischen Energiespeichern in der Schweiz wie z.B. Wasserstoffspeichern?

Das Problem ist, dass wir in der Schweiz nur verhältnismässig kurze Perioden haben, während denen wir zu viel Strom haben, den wir speichern könnten. Wenn sie mit einem Elektrolyseur Wasserstoff herstellen wollen, dann muss der mindestens 6000-8000 Stunden im Jahr arbeiten, sonst rentiert er nicht. Es ist darum noch nicht klar, ob sich solche Speicher in der Schweiz lohnen werden. An der marokkanischen Küste beispielsweise sieht es anders aus. Dort gibt es sehr viel Sonne und Wind, sodass man die Technologie fast pausenlos produzieren lassen kann.

Im zweiten Teil des Interviews lesen Sie, was Peter Richner vom gesetzlich verankerten Atomausstieg hält und welches für ihn das vielversprechendste Projekt im Bereich der erneuerbaren Energien darstellt.

Was könnte die Lösung sein?

Power-to-gas: man importiert chemische Energieträger wie Wasserstoff oder synthetisches Methan, die in Gegenden der Welt produziert werden, in denen es erneuerbare Energie im Überfluss gibt. Entscheidend ist dabei, dass man diversifiziert und aus unterschiedlichen Weltregionen importiert. Sonst begeben wir uns wieder in ein Klumpenrisiko der Auslandabhängigkeit, so wie wir es heute erleben. Neben dem Nahen Osten könnten die erneuerbaren Energieträger zukünftig z.B. auch aus Island, Patagonien oder Australien kommen.

Im Oman wird heute bereits Sonnenstrom für 1-2 Rappen pro kWh produziert. Da ist Effizienz kein Thema mehr

Bei der Produktion solcher Energieträger geht sehr viel erneuerbare Energie in Form von Abwärme verloren, ist das nicht ineffizient?

Ist es, aber das spielt dann keine Rolle mehr. Auf unserem Planeten gibt es grundsätzlich erneuerbare Energie im Überfluss. Im Oman zum Beispiel produziert man heute bereits Sonnenstrom für 1-2 Rappen pro Kilowattstunde. Bei so günstigen Preisen ist dieser Umwandlungsverlust nicht mehr relevant. Die Frage ist viel mehr, ob die Technologie systemdienlich ist.

Die Energiewende hängt auch massgeblich davon ab, ob es uns gelingt, Sonnenenergie hierzulande vom Sommer in den Winter zu bringen. Was gilt es hier zu tun?

Wir brauchen mehr Energiespeicher in der Schweiz. Dazu müssen wir jetzt endlich neue Pumpspeicherkraftwerke bauen und bestehende, wie den Grimsel, ausbauen. Gleichzeitig müssen wir noch viel kräftiger in die Digitalisierung des Stromnetz’ investieren, um es bereit zu machen für dynamische bidirektionale Energieflüsse, mit denen es zukünftig umgehen muss. So können dann auch Elektroautos als Speicher für das Stromnetz erschlossen werden. Kurzfristige Lastspitzen im Energiesystem lassen sich damit brechen, was die Netzstabilität verbessert. Hier würde ich mir ein schnelleres Tempo wünschen.

Den Atomausstieg im Gesetz zu verankern, war einer der grössten Fehler

Pumpspeicher sind das eine - was halten Sie von chemischen Energiespeichern in der Schweiz wie z.B. Wasserstoffspeichern?

Das Problem ist, dass wir in der Schweiz nur verhältnismässig kurze Perioden haben, während denen wir zu viel Strom haben, den wir speichern könnten. Wenn sie mit einem Elektrolyseur Wasserstoff herstellen wollen, dann muss der mindestens 6000-8000 Stunden im Jahr arbeiten, sonst rentiert er nicht. Es ist darum noch nicht klar, ob sich solche Speicher in der Schweiz lohnen werden. An der marokkanischen Küste beispielsweise sieht es anders aus. Dort gibt es sehr viel Sonne und Wind, sodass man die Technologie fast pausenlos produzieren lassen kann.

Im zweiten Teil des Interviews lesen Sie, was Peter Richner vom gesetzlich verankerten Atomausstieg hält und welches für ihn das vielversprechendste Projekt im Bereich der erneuerbaren Energien darstellt.

Zum zweiten Teil