«Bei modernen KKW ist die Gefahr einer für die Bevölkerung gefährlichen radioaktiven Freisetzung praktisch eliminiert» (2/2)

Im zweiten Teil des Interviews mit Andreas Pautz erfahren Sie mehr über die Sicherheit moderner Kernkraft. Zudem erklärt der Experte für Kernenergie, ob nukleare Brennstoffe irgendwann so genutzt werden können, dass sie am Schluss nicht mehr gefährlich sind.

Luc Descombes
19. März 2023
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Foto: zVg - Dr. Andreas Pautz, Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne und Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit am Paul Scherrer Institut (PSI).
Zum ersten Teil des Interviews

AKW liefern Bandenergie. Hat diese in einem zukünftig dynamischen Energiesystem überhaupt noch einen Platz?

Ich denke, dass die Schweiz noch auf lange Sicht auf Bandenergie aus Wasser- und Kernkraft angewiesen sein wird. Demand-side-management und die Speicherung von Solarenergie in Form von Wasserstoff oder Synthesegas mögen eines Tages unsere Nutzung optimieren respektive in ausreichendem Mass zur Verfügung stehen, werden aber auch ihren Preis haben. Aber ich tue mir schwer mit der Vorstellung, dass wir uns in den nächsten 20 Jahren von der Bandenergie lösen können. Die grosse Mehrheit seriöser Modellierungen von Energiesystemen zeigt deutlich, dass in den meisten Volkswirtschaften ein Anteil von mindestens 25 Prozent CO2-armer Bandenergie eine vernünftige, notwendige und vor allem kostendämpfende Massnahme ist, um ein Stromnetz zu stabilisieren; in diesem Bereich gibt es eine kostenoptimale Lösung zwischen Grundlastkraftwerken und volatilen Energiequellen. Diese Rolle können moderne Kernkraftwerke übernehmen.

AKW liefern Bandenergie. Hat diese in einem zukünftig dynamischen Energiesystem überhaupt noch einen Platz?

Ich denke, dass die Schweiz noch auf lange Sicht auf Bandenergie aus Wasser- und Kernkraft angewiesen sein wird. Demand-side-management und die Speicherung von Solarenergie in Form von Wasserstoff oder Synthesegas mögen eines Tages unsere Nutzung optimieren respektive in ausreichendem Mass zur Verfügung stehen, werden aber auch ihren Preis haben. Aber ich tue mir schwer mit der Vorstellung, dass wir uns in den nächsten 20 Jahren von der Bandenergie lösen können. Die grosse Mehrheit seriöser Modellierungen von Energiesystemen zeigt deutlich, dass in den meisten Volkswirtschaften ein Anteil von mindestens 25 Prozent CO2-armer Bandenergie eine vernünftige, notwendige und vor allem kostendämpfende Massnahme ist, um ein Stromnetz zu stabilisieren; in diesem Bereich gibt es eine kostenoptimale Lösung zwischen Grundlastkraftwerken und volatilen Energiequellen. Diese Rolle können moderne Kernkraftwerke übernehmen.

Über Professor Dr. Andreas Pautz

Über Prof. Dr. Andreas Pautz

Andreas Pautz ist Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne und leitet den Forschungsbereich Nukleare Energie und Sicherheit am Paul Scherrer Institut (PSI), dem zentralen nuklearen Kompetenzzentrum der Schweiz mit rund 250 Mitarbeitenden. Als Institut des ETH-Bereichs ist das PSI der Energiestrategie des Bundes verpflichtet und unterstützt die Schweizer Aufsichtsbehörde mit seiner wissenschaftlichen Expertise, um einen sicheren Betrieb der KKW über 60 Jahre und ggf. darüber hinaus gewährleisten zu können. Auch für die Sicherheit von Kernbrennstoffen in der Schweiz leistet das PSI einen wichtigen Beitrag mit dem schweizweit einzigen Labor, in dem mit hochgradig radioaktiven Stoffen wie abgebrannten Brennstäben gearbeitet werden kann. Das PSI arbeitet seit Jahrzehnten mit der Nagra zusammen und ist wissenschaftlich intensiv eingebunden in die Standortsuche für das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Damit ist das PSI der Garant dafür, dass weiterhin wissenschaftliche Nachwuchskräfte auf hohem Niveau im Nuklearbereich ausgebildet werden.   

Über Prof. Dr. Andreas Pautz

Andreas Pautz ist Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne und leitet den Forschungsbereich Nukleare Energie und Sicherheit am Paul Scherrer Institut (PSI), dem zentralen nuklearen Kompetenzzentrum der Schweiz mit rund 250 Mitarbeitenden. Als Institut des ETH-Bereichs ist das PSI der Energiestrategie des Bundes verpflichtet und unterstützt die Schweizer Aufsichtsbehörde mit seiner wissenschaftlichen Expertise, um einen sicheren Betrieb der KKW über 60 Jahre und ggf. darüber hinaus gewährleisten zu können. Auch für die Sicherheit von Kernbrennstoffen in der Schweiz leistet das PSI einen wichtigen Beitrag mit dem schweizweit einzigen Labor, in dem mit hochgradig radioaktiven Stoffen wie abgebrannten Brennstäben gearbeitet werden kann. Das PSI arbeitet seit Jahrzehnten mit der Nagra zusammen und ist wissenschaftlich intensiv eingebunden in die Standortsuche für das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Damit ist das PSI der Garant dafür, dass weiterhin wissenschaftliche Nachwuchskräfte auf hohem Niveau im Nuklearbereich ausgebildet werden.   

Aber Hand aufs Herz, wenn wir die externalisierten Kosten für Kernkraftwerke wie z.B. die Lagerung des Atommülls einrechnen, lohnt sich dann der Neubau von Kernkraftwerken noch?

Die Entsorgungskosten für die Schweiz werden alle fünf Jahre neu ermittelt und lassen sich mit etwa einem Rappen pro KWh Strom recht genau beziffern; diese Beträge werden schon während des laufenden Betriebs der Anlagen im sog. Stilllegungs- und Entsorgungsfond rückgestellt und sind damit im Gestehungspreis inbegriffen. Der liegt beim KKW Gösgen bei etwa 4 Rappen/kWh, was sehr günstig selbst im Vergleich mit der Wasserkraft ist. 

Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist mit dem Konzept des geologischen Tiefenlagers aus technisch-wissenschaftlicher Sicht de-facto gelöst. Es ist mir natürlich bewusst, dass die nukleare Entsorgung häufig zu einem vermeintlich unlösbaren Problem hochstilisiert wird. Demgegenüber stehen aber vier Jahrzehnte internationaler Forschung an Endlagerkonzepten, die immer wieder gezeigt hat, dass der sichere Einschluss radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen über lange Zeiträume gelingt – diese wissenschaftlichen Ergebnisse kann man doch nicht einfach ignorieren! Finnland und Schweden haben mittlerweile genehmigte Endlager, und andere Länder, auch die Schweiz, werden folgen. Es gibt bei keiner anderen Energieform einen so sorgsam durchdachten Entsorgungspfad gibt wie bei der Kernenergie.

Wir verfügen heute über einen Kenntnisstand, den man sich vor 40 Jahren nur hätte erträumen können

Wir werden diese Abfälle über mehr als 100'000 Jahre lagern müssen. Könnten sich in dieser Zeit nicht beispielsweise die Kontinentalplatten verschieben und ein Tiefenlager aufreissen?

Es ist wichtig, sich die geologischen Zeitskalen zu verdeutlichen, auf denen solche Prozesse ablaufen. Der Jura ist etwa 170 Millionen Jahre alt. Die Formationen, in denen wir das Tiefenlager errichten, haben sich seitdem nicht mehr gravierend verändert, das Porenwasser, das wir dort im Tongestein vorfinden, war nachweislich viele Millionen Jahre dort eingeschlossen. Wir führen den Langzeitsicherheitsnachweis für das geologische Tiefenlager über eine Million Jahre, um wirklich alle Eventualitäten, also auch tektonische und seismische Verschiebungen und Eiszeiten abzudecken. Das ist ein extrem konservativer Ansatz, denn tatsächlich sind nach 10'000 Jahren bereits über 99,7 Prozent der radioaktiven Elemente zerfallen. Bei den dann noch verbleibenden radioaktiven Stoffen reden wir von gerade noch 36 Tonnen Schwermetallen wie Plutonium und Americium aus insgesamt 60 Jahren Schweizer Kernenergiebetrieb! Gerade diese Schwermetalle werden aber besonders effektiv vom Tongestein im Endlager eingeschlossen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Abfälle aus Kernkraftwerken zwar über lange Zeiträume radiotoxisch sind, dafür aber aufgrund der hohen Energiedichte in KKW auch nur in extrem geringen Mengen anfallen. Bei Abfällen aus der chemischen Industrie reden wir von ganz anderen Mengen, nämlich mehreren zehntausend von Tonnen – pro Jahr! - die ebenfalls geologisch tiefengelagert werden müssen. 

Trotzdem fürchten sich die Menschen vor solchen geologischen Tiefenlager, wollen sie nicht in ihrem Hinterhof wissen.

Wir sind heute nicht mehr auf dem Stand der 1980er Jahre. Wie ich bereits sagte, in der Zwischenzeit wurde sehr viel geforscht. Wir verfügen heute über einen Kenntnisstand, den man sich vor 40 Jahren nur hätte erträumen können. Wir wissen, wie man ein Endlager optimal auslegt und wie die sicherheitstechnischen Barrieren aussehen müssen. Wir verstehen die Transportmechanismen von Radioisotopen im Gestein im Detail und können mit Sicherheit sagen, dass die Belastung von Mensch und Umwelt durch ein Tiefenlager jetzt und in hunderttausend Jahren um mindestens einen Faktor einhundert unterhalb der natürlichen Strahlenbelastung liegt.

In der Schweiz wird die Nagra der nuklearen Aufsichtsbehörde ENSI im kommenden Jahr das Rahmenbewilligungsgesuch für ein Endlager in Nördlich Lägern vorlegen, das dann von der ENSI nach dem aktuellsten Stand von Wissenschaft und Technik begutachtet wird. Ich schätze den mehrstufigen und transparenten Prozess der Standortsuche in der Schweiz sehr und bin zuversichtlich, dass wir um 2030 ein genehmigungsfähiges Konzept für die Schweiz haben werden.

Aber Hand aufs Herz, wenn wir die externalisierten Kosten für Kernkraftwerke wie z.B. die Lagerung des Atommülls einrechnen, lohnt sich dann der Neubau von Kernkraftwerken noch?

Die Entsorgungskosten für die Schweiz werden alle fünf Jahre neu ermittelt und lassen sich mit etwa einem Rappen pro KWh Strom recht genau beziffern; diese Beträge werden schon während des laufenden Betriebs der Anlagen im sog. Stilllegungs- und Entsorgungsfond rückgestellt und sind damit im Gestehungspreis inbegriffen. Der liegt beim KKW Gösgen bei etwa 4 Rappen/kWh, was sehr günstig selbst im Vergleich mit der Wasserkraft ist. 

Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist mit dem Konzept des geologischen Tiefenlagers aus technisch-wissenschaftlicher Sicht de-facto gelöst. Es ist mir natürlich bewusst, dass die nukleare Entsorgung häufig zu einem vermeintlich unlösbaren Problem hochstilisiert wird. Demgegenüber stehen aber vier Jahrzehnte internationaler Forschung an Endlagerkonzepten, die immer wieder gezeigt hat, dass der sichere Einschluss radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen über lange Zeiträume gelingt – diese wissenschaftlichen Ergebnisse kann man doch nicht einfach ignorieren! Finnland und Schweden haben mittlerweile genehmigte Endlager, und andere Länder, auch die Schweiz, werden folgen. Es gibt bei keiner anderen Energieform einen so sorgsam durchdachten Entsorgungspfad gibt wie bei der Kernenergie.

Wir verfügen heute über einen Kenntnisstand, den man sich vor 40 Jahren nur hätte erträumen können

Wir werden diese Abfälle über mehr als 100'000 Jahre lagern müssen. Könnten sich in dieser Zeit nicht beispielsweise die Kontinentalplatten verschieben und ein Tiefenlager aufreissen?

Es ist wichtig, sich die geologischen Zeitskalen zu verdeutlichen, auf denen solche Prozesse ablaufen. Der Jura ist etwa 170 Millionen Jahre alt. Die Formationen, in denen wir das Tiefenlager errichten, haben sich seitdem nicht mehr gravierend verändert, das Porenwasser, das wir dort im Tongestein vorfinden, war nachweislich viele Millionen Jahre dort eingeschlossen. Wir führen den Langzeitsicherheitsnachweis für das geologische Tiefenlager über eine Million Jahre, um wirklich alle Eventualitäten, also auch tektonische und seismische Verschiebungen und Eiszeiten abzudecken. Das ist ein extrem konservativer Ansatz, denn tatsächlich sind nach 10'000 Jahren bereits über 99,7 Prozent der radioaktiven Elemente zerfallen. Bei den dann noch verbleibenden radioaktiven Stoffen reden wir von gerade noch 36 Tonnen Schwermetallen wie Plutonium und Americium aus insgesamt 60 Jahren Schweizer Kernenergiebetrieb! Gerade diese Schwermetalle werden aber besonders effektiv vom Tongestein im Endlager eingeschlossen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Abfälle aus Kernkraftwerken zwar über lange Zeiträume radiotoxisch sind, dafür aber aufgrund der hohen Energiedichte in KKW auch nur in extrem geringen Mengen anfallen. Bei Abfällen aus der chemischen Industrie reden wir von ganz anderen Mengen, nämlich mehreren zehntausend von Tonnen – pro Jahr! - die ebenfalls geologisch tiefengelagert werden müssen. 

Trotzdem fürchten sich die Menschen vor solchen geologischen Tiefenlager, wollen sie nicht in ihrem Hinterhof wissen.

Wir sind heute nicht mehr auf dem Stand der 1980er Jahre. Wie ich bereits sagte, in der Zwischenzeit wurde sehr viel geforscht. Wir verfügen heute über einen Kenntnisstand, den man sich vor 40 Jahren nur hätte erträumen können. Wir wissen, wie man ein Endlager optimal auslegt und wie die sicherheitstechnischen Barrieren aussehen müssen. Wir verstehen die Transportmechanismen von Radioisotopen im Gestein im Detail und können mit Sicherheit sagen, dass die Belastung von Mensch und Umwelt durch ein Tiefenlager jetzt und in hunderttausend Jahren um mindestens einen Faktor einhundert unterhalb der natürlichen Strahlenbelastung liegt.

In der Schweiz wird die Nagra der nuklearen Aufsichtsbehörde ENSI im kommenden Jahr das Rahmenbewilligungsgesuch für ein Endlager in Nördlich Lägern vorlegen, das dann von der ENSI nach dem aktuellsten Stand von Wissenschaft und Technik begutachtet wird. Ich schätze den mehrstufigen und transparenten Prozess der Standortsuche in der Schweiz sehr und bin zuversichtlich, dass wir um 2030 ein genehmigungsfähiges Konzept für die Schweiz haben werden.

Foto zeigt Andreas Pautz, Professor an der ETH Lausanne und Leiter des Bereichs Nukleare Sicherheit am Paul Scherrer Institut
Durch die bessere Nutzung nuklearen Brennstoffs würde dieser für viele 10'000 Jahre zur Verfügung stehen.

Besteht denn nicht die Möglichkeit, nuklearen Brennstoff irgendwann so lange zu nutzen, dass er schlussendlich nicht mehr gefährlich ist?

Grundsätzlich ist dies tatsächlich möglich. Dazu muss ich etwas weiter ausholen: Die Kernenergie hat, so wie wir sie heute betreiben, ein Nachhaltigkeitsproblem. Denn mit der aktuellen Betriebsweise werden die Uranvorräte irgendwann erschöpft sein. Darüber, wie lange dies dauert, gehen die Meinungen etwas auseinander, manche sagen etwa 60 Jahre, andere 200 Jahre bei den vorhandenen Kraftwerkskapazitäten. Damit bliebe die Kernenergie in der Tat lediglich eine Brückentechnologie.

Unsere Berechnungen zeigen, dass man mit sogenannten schnellen Reaktoren die Mengen an nuklearen Abfällen gegenüber heute nochmals um den Faktor 100 reduzieren kann

Viel nachhaltiger wäre es natürlich, wenn man den nuklearen Brennstoff zukünftig in einer Kreislaufwirtschaft nutzen würde, d.h. immer weniger Uran aus Minen herausziehen, dafür aber den Abfall wiederaufbereiten und wiederverwenden würde. Physikalisch und auch ingenieurtechnisch ist dies alles machbar, die Konzepte sind seit langem bekannt. Aber dazu braucht es eine neue Generation von Reaktoren, die sog. Schnellen Reaktoren, die den nuklearen Brennstoff viel besser nutzen und gleichzeitig den entstehenden Abfall minimieren. Unsere Berechnungen zeigen, dass man mit solchen Anlagen die Mengen an Abfall gegenüber heute nochmals um den Faktor 100 reduzieren kann. Durch die bessere Nutzung würde dann nuklearer Brennstoff für viele 10'000 Jahre zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gibt es mittlerweile gute Ansätze, Uran aus dem Meerwasser zu gewinnen; im Moment sind diese Verfahren noch zu teuer, um wirtschaftlich interessant zu sein. Wenn es aber gelingt, sie grosstechnisch darzustellen, sind die Uranvorräte auf unserem Planeten praktisch unerschöpflich. 

Diese Reaktoren gibt es aber heute nicht, oder?

Derzeit gibt es einige Demonstrationsanlagen, die zu den Reaktoren der vierten Generation gehören; weltweit werden aber grosse Forschungssummen für das Design dieser Reaktoren aufgewendet, und es gibt mittlerweile um die 70 Reaktorkonzepte verschiedener Firmen und Startups, die diese Anlagen an den Markt bringen wollen. Möglicherweise sehen wir einige Anlagen bereits um 2030 auf den Markt drängen. So will die Firma Terrapower, hinter der Bill Gates als Investor steht, in der Stadt Kemmerer im US-Bundesstaat Wyoming, einen natriumgekühlten schnellen Reaktor 2030 in Betrieb nehmen.

Aber die Reduktion der Abfälle muss nicht heute geschehen, und auch die Uranvorräte sind derzeit (noch) kein Problem. Die grösste Herausforderung, der wir heute gegenüberstehen, ist der Klimawandel. Wenn wir zu der Auffassung kommen, dass Kernenergie ein Teil der Lösung ist, um den Klimawandel aufzuhalten, dann müssen wir heute mit dem arbeiten, was uns grosstechnisch zur Verfügung steht: Sichere Leichtwasserreaktoren wie sie nun z.B. in Finnland gebaut wurden. Anlagen, die CO2-arm Strom produzieren und zügig zugebaut werden könnten. Die Technologie ist vorhanden, ist sicherheitstechnisch erprobt, und man kann sie je nach den Bedürfnissen des Marktes als kleine, modulare Anlagen auslegen oder auf der Gigawatt-Skala bauen. Damit würden wir dann die nächsten Jahrzehnte klimaschonend Strom und Wärme produzieren. In 20 Jahren steht dann möglicherweise auch die nächste Anlagengeneration bereit, mit der man dann nach und nach in eine nukleare Kreislaufwirtschaft einsteigen kann. Das hat für mich heute aber nicht oberste Priorität, denn den existierenden Abfall können wir sicher lagern. In 60 Jahren, wenn wir so weit sind, können wir ihn gegebenenfalls sogar wiederverwenden. Der Klimawandel sollte jetzt im Fokus stehen.

Mit Tschernobyl und Fukushima hat die Welt innert knapp 40 Jahren gleich zwei nukleare Katastrophen erlebt. Können solche Ereignisse in Zukunft ausgeschlossen werden?

Als nuklearer Sicherheitsexperte untersucht man Ereignisse, die Auslöser für eine Verkettung von Systemausfällen sein könnten, die zu einem schweren Unfall führen. Ein Flugzeugabsturz zum Beispiel, ein starkes Erdbeben, ein Tsunami oder, wie in Fukushima, beides gleichzeitig. Für diese Ereignisse kann man sicherheitstechnische Vorkehrungen treffen und Notfallmassnahmen definieren. Die Wahrscheinlichkeit eines Störfallablaufs, der zu einer Beschädigung des Reaktorkerns führt, kann man quantifizieren. Dabei handelt es sich nicht um Kaffeesatzleserei, sondern um sehr umfangreiche sogenannten probabilistische Sicherheitsanalysen.

Die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Freisetzung von Radioaktivität in modernen Anlagen ist geringer als ein Ereignis in 10 Millionen Jahren

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für ein katastrophales Ereignis heute?

Die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Freisetzung von Radioaktivität in modernen Anlagen ist geringer als 10-7 pro Jahr, das bedeutet also weniger als ein Ereignis in 10 Million Jahren. Bei den neuen kleinen modularen Reaktorkonzepten gelingt es sogar, diese Wahrscheinlichkeit auf 10-9/Jahr zu drücken, d.h. weniger als ein Ereignis in einer Milliarde Jahre! Damit haben moderne KKW einen Stand der Sicherheitstechnologie erreicht, bei dem man mit Fug und Recht sagen kann, dass die Gefahr einer für die Bevölkerung gefährlichen Freisetzung von Radioaktivität praktisch eliminiert ist.

Trotzdem hatten wir gleich zwei Ereignisse in den letzten 40 Jahren

Das ist richtig. Das waren aber auch Anlagen älterer Bauart, auf die diese Wahrscheinlichkeiten nicht zutrafen. In Chernobyl wurde zudem fahrlässig an den Sicherheitssystemen der Anlage manipuliert; dies ist bei unseren Anlagen per Design praktisch unmöglich und würde zudem nicht zum selben katastrophalen Ereignisablauf führen. Die Anlagen in Fukushima stammen aus den frühen 1970er Jahren, und hier wurde es in der Tat versäumt, relevante Sicherheitssysteme nachzurüsten, die in der Schweiz und ganz Europa bereits in den 1990er Jahren Standard waren. Wären diese Vorkehrungen rechtzeitig getroffen worden, wäre es in Fukushima nicht zur Kernschmelze gekommen. Tatsächlich haben die neueren Blöcke 5 und 6 in Fukushima den Tsunami auch praktisch unbeschadet überstanden.

Kürzlich ist es Forschern gelungen, anlässlich eines Kernfusionsexperiments kurzzeitig mehr Energie zu erzeugen, als sie für den Betrieb des Reaktors verbraucht haben. Welchen Beitrag erwarten Sie von der Kernfusion in den nächsten Jahrzehnten?

Ich finde die Kernfusion superspannend und vielversprechend. Ich gehe davon aus, dass wir im kommenden Jahrzehnt den Fusionsreaktor ITER in Frankreich im Betrieb sehen werden. Damit wird man demonstrieren, dass das Plasma kontrolliert werden kann und dass es gelingt, über längere Zeiträume (d.h. einige Minuten) mehr Energie aus der Fusionsreaktion rauszuziehen als hineinfliesst. Ein Kernkraftwerk zur Energieerzeugung ist ITER aber nicht. Ich gehe davon aus, dass wir im Jahre 2050 ein erstes Demonstrationskraftwerk in Europa haben werden. Damit kommt der Fusion im Kontext des Klimawandels und der Fragen, die wir jetzt und heute beantworten müssen, nur beschränkte Relevanz zu. Und auch die Fusionstechnologie muss ihre Eignung in einem von Erneuerbaren geprägten Energiesystem beweisen. Ein Fusionskraftwerk ist technisch viel komplexer als ein modernes Kernkraftwerk und wird in Bau und Betrieb entsprechend kostspielig sein. Auch bei einem Fusionskraftwerk wird Radioaktivität erzeugt, wenn auch in deutlich geringerem Masse als bei Kernkraftwerken. Schwere Störfallszenarios wie bei KKW sind zwar ausgeschlossen, aber ein Kollaps des Fusionsplasmas kann die Anlage selbst schwer beschädigen. Es wird sich zeigen, ob die Technologie am Markt bestehen kann.

Welches sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Ich denke, dies sind die grossen alpinen Solarparks. Da kann und muss man jetzt vorankommen, denn wir haben, jenseits Wasser- und Kernkraft, nicht allzu viele CO2-arme Alternativen dazu. Ich bin an der Nordsee gross geworden und habe mich bereits vor 25 Jahren dort für den Bau von Windanlagen, sowohl politisch als auch finanziell engagiert. Man muss aber anerkennen, das der Wind im Norden ganz anders weht als in der Schweiz. Windkraftwerke haben in der Schweiz ein nur sehr beschränktes Potential.

Die Energiewende bedeutet für mich…?

…Technologieoffenheit und damit die Nutzung aller verfügbaren klimaneutralen Technologien. Wenn wir dem Klimawandel als der grössten Herausforderung unserer Zeit begegnen wollen, dann werden wir alle CO2-armen Energieerzeugungsformen benötigen, die uns heute zur Verfügung stehen. Noch immer basieren 85 Prozent unserer Primärenergie auf fossilen Energieträgern! Diese in den nächsten 25 Jahren global zu ersetzen, ist eine gigantische Herausforderung. Sonne und Wind zusammen machen heute gerade einmal 4 Prozent aus, die Kernenergie etwa ebenso viel. Darum müssen wir uns alle Optionen in der Energieerzeugung offenhalten anstatt diese gegeneinander auszuspielen und uns nicht ideologisch, sondern wissenschaftlich leiten lassen.

Besteht denn nicht die Möglichkeit, nuklearen Brennstoff irgendwann so lange zu nutzen, dass er schlussendlich nicht mehr gefährlich ist?

Grundsätzlich ist dies tatsächlich möglich. Dazu muss ich etwas weiter ausholen: Die Kernenergie hat, so wie wir sie heute betreiben, ein Nachhaltigkeitsproblem. Denn mit der aktuellen Betriebsweise werden die Uranvorräte irgendwann erschöpft sein. Darüber, wie lange dies dauert, gehen die Meinungen etwas auseinander, manche sagen etwa 60 Jahre, andere 200 Jahre bei den vorhandenen Kraftwerkskapazitäten. Damit bliebe die Kernenergie in der Tat lediglich eine Brückentechnologie.

Unsere Berechnungen zeigen, dass man mit sogenannten schnellen Reaktoren die Mengen an nuklearen Abfällen gegenüber heute nochmals um den Faktor 100 reduzieren kann

Viel nachhaltiger wäre es natürlich, wenn man den nuklearen Brennstoff zukünftig in einer Kreislaufwirtschaft nutzen würde, d.h. immer weniger Uran aus Minen herausziehen, dafür aber den Abfall wiederaufbereiten und wiederverwenden würde. Physikalisch und auch ingenieurtechnisch ist dies alles machbar, die Konzepte sind seit langem bekannt. Aber dazu braucht es eine neue Generation von Reaktoren, die sog. Schnellen Reaktoren, die den nuklearen Brennstoff viel besser nutzen und gleichzeitig den entstehenden Abfall minimieren. Unsere Berechnungen zeigen, dass man mit solchen Anlagen die Mengen an Abfall gegenüber heute nochmals um den Faktor 100 reduzieren kann. Durch die bessere Nutzung würde dann nuklearer Brennstoff für viele 10'000 Jahre zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gibt es mittlerweile gute Ansätze, Uran aus dem Meerwasser zu gewinnen; im Moment sind diese Verfahren noch zu teuer, um wirtschaftlich interessant zu sein. Wenn es aber gelingt, sie grosstechnisch darzustellen, sind die Uranvorräte auf unserem Planeten praktisch unerschöpflich. 

Diese Reaktoren gibt es aber heute nicht, oder?

Derzeit gibt es einige Demonstrationsanlagen, die zu den Reaktoren der vierten Generation gehören; weltweit werden aber grosse Forschungssummen für das Design dieser Reaktoren aufgewendet, und es gibt mittlerweile um die 70 Reaktorkonzepte verschiedener Firmen und Startups, die diese Anlagen an den Markt bringen wollen. Möglicherweise sehen wir einige Anlagen bereits um 2030 auf den Markt drängen. So will die Firma Terrapower, hinter der Bill Gates als Investor steht, in der Stadt Kemmerer im US-Bundesstaat Wyoming, einen natriumgekühlten schnellen Reaktor 2030 in Betrieb nehmen.

Aber die Reduktion der Abfälle muss nicht heute geschehen, und auch die Uranvorräte sind derzeit (noch) kein Problem. Die grösste Herausforderung, der wir heute gegenüberstehen, ist der Klimawandel. Wenn wir zu der Auffassung kommen, dass Kernenergie ein Teil der Lösung ist, um den Klimawandel aufzuhalten, dann müssen wir heute mit dem arbeiten, was uns grosstechnisch zur Verfügung steht: Sichere Leichtwasserreaktoren wie sie nun z.B. in Finnland gebaut wurden. Anlagen, die CO2-arm Strom produzieren und zügig zugebaut werden könnten. Die Technologie ist vorhanden, ist sicherheitstechnisch erprobt, und man kann sie je nach den Bedürfnissen des Marktes als kleine, modulare Anlagen auslegen oder auf der Gigawatt-Skala bauen. Damit würden wir dann die nächsten Jahrzehnte klimaschonend Strom und Wärme produzieren. In 20 Jahren steht dann möglicherweise auch die nächste Anlagengeneration bereit, mit der man dann nach und nach in eine nukleare Kreislaufwirtschaft einsteigen kann. Das hat für mich heute aber nicht oberste Priorität, denn den existierenden Abfall können wir sicher lagern. In 60 Jahren, wenn wir so weit sind, können wir ihn gegebenenfalls sogar wiederverwenden. Der Klimawandel sollte jetzt im Fokus stehen.

Mit Tschernobyl und Fukushima hat die Welt innert knapp 40 Jahren gleich zwei nukleare Katastrophen erlebt. Können solche Ereignisse in Zukunft ausgeschlossen werden?

Als nuklearer Sicherheitsexperte untersucht man Ereignisse, die Auslöser für eine Verkettung von Systemausfällen sein könnten, die zu einem schweren Unfall führen. Ein Flugzeugabsturz zum Beispiel, ein starkes Erdbeben, ein Tsunami oder, wie in Fukushima, beides gleichzeitig. Für diese Ereignisse kann man sicherheitstechnische Vorkehrungen treffen und Notfallmassnahmen definieren. Die Wahrscheinlichkeit eines Störfallablaufs, der zu einer Beschädigung des Reaktorkerns führt, kann man quantifizieren. Dabei handelt es sich nicht um Kaffeesatzleserei, sondern um sehr umfangreiche sogenannten probabilistische Sicherheitsanalysen.

Die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Freisetzung von Radioaktivität in modernen Anlagen ist geringer als ein Ereignis in 10 Millionen Jahren

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für ein katastrophales Ereignis heute?

Die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Freisetzung von Radioaktivität in modernen Anlagen ist geringer als 10-7 pro Jahr, das bedeutet also weniger als ein Ereignis in 10 Million Jahren. Bei den neuen kleinen modularen Reaktorkonzepten gelingt es sogar, diese Wahrscheinlichkeit auf 10-9/Jahr zu drücken, d.h. weniger als ein Ereignis in einer Milliarde Jahre! Damit haben moderne KKW einen Stand der Sicherheitstechnologie erreicht, bei dem man mit Fug und Recht sagen kann, dass die Gefahr einer für die Bevölkerung gefährlichen Freisetzung von Radioaktivität praktisch eliminiert ist.

Trotzdem hatten wir gleich zwei Ereignisse in den letzten 40 Jahren

Das ist richtig. Das waren aber auch Anlagen älterer Bauart, auf die diese Wahrscheinlichkeiten nicht zutrafen. In Chernobyl wurde zudem fahrlässig an den Sicherheitssystemen der Anlage manipuliert; dies ist bei unseren Anlagen per Design praktisch unmöglich und würde zudem nicht zum selben katastrophalen Ereignisablauf führen. Die Anlagen in Fukushima stammen aus den frühen 1970er Jahren, und hier wurde es in der Tat versäumt, relevante Sicherheitssysteme nachzurüsten, die in der Schweiz und ganz Europa bereits in den 1990er Jahren Standard waren. Wären diese Vorkehrungen rechtzeitig getroffen worden, wäre es in Fukushima nicht zur Kernschmelze gekommen. Tatsächlich haben die neueren Blöcke 5 und 6 in Fukushima den Tsunami auch praktisch unbeschadet überstanden.

Kürzlich ist es Forschern gelungen, anlässlich eines Kernfusionsexperiments kurzzeitig mehr Energie zu erzeugen, als sie für den Betrieb des Reaktors verbraucht haben. Welchen Beitrag erwarten Sie von der Kernfusion in den nächsten Jahrzehnten?

Ich finde die Kernfusion superspannend und vielversprechend. Ich gehe davon aus, dass wir im kommenden Jahrzehnt den Fusionsreaktor ITER in Frankreich im Betrieb sehen werden. Damit wird man demonstrieren, dass das Plasma kontrolliert werden kann und dass es gelingt, über längere Zeiträume (d.h. einige Minuten) mehr Energie aus der Fusionsreaktion rauszuziehen als hineinfliesst. Ein Kernkraftwerk zur Energieerzeugung ist ITER aber nicht. Ich gehe davon aus, dass wir im Jahre 2050 ein erstes Demonstrationskraftwerk in Europa haben werden. Damit kommt der Fusion im Kontext des Klimawandels und der Fragen, die wir jetzt und heute beantworten müssen, nur beschränkte Relevanz zu. Und auch die Fusionstechnologie muss ihre Eignung in einem von Erneuerbaren geprägten Energiesystem beweisen. Ein Fusionskraftwerk ist technisch viel komplexer als ein modernes Kernkraftwerk und wird in Bau und Betrieb entsprechend kostspielig sein. Auch bei einem Fusionskraftwerk wird Radioaktivität erzeugt, wenn auch in deutlich geringerem Masse als bei Kernkraftwerken. Schwere Störfallszenarios wie bei KKW sind zwar ausgeschlossen, aber ein Kollaps des Fusionsplasmas kann die Anlage selbst schwer beschädigen. Es wird sich zeigen, ob die Technologie am Markt bestehen kann.

Welches sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Ich denke, dies sind die grossen alpinen Solarparks. Da kann und muss man jetzt vorankommen, denn wir haben, jenseits Wasser- und Kernkraft, nicht allzu viele CO2-arme Alternativen dazu. Ich bin an der Nordsee gross geworden und habe mich bereits vor 25 Jahren dort für den Bau von Windanlagen, sowohl politisch als auch finanziell engagiert. Man muss aber anerkennen, das der Wind im Norden ganz anders weht als in der Schweiz. Windkraftwerke haben in der Schweiz ein nur sehr beschränktes Potential.

Die Energiewende bedeutet für mich…?

…Technologieoffenheit und damit die Nutzung aller verfügbaren klimaneutralen Technologien. Wenn wir dem Klimawandel als der grössten Herausforderung unserer Zeit begegnen wollen, dann werden wir alle CO2-armen Energieerzeugungsformen benötigen, die uns heute zur Verfügung stehen. Noch immer basieren 85 Prozent unserer Primärenergie auf fossilen Energieträgern! Diese in den nächsten 25 Jahren global zu ersetzen, ist eine gigantische Herausforderung. Sonne und Wind zusammen machen heute gerade einmal 4 Prozent aus, die Kernenergie etwa ebenso viel. Darum müssen wir uns alle Optionen in der Energieerzeugung offenhalten anstatt diese gegeneinander auszuspielen und uns nicht ideologisch, sondern wissenschaftlich leiten lassen.

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