«Das Argument, man könne als Einzelperson nichts bewirken, zählt nicht» (2/2)

Im zweiten Teil des Interviews mit Isabelle Stadelmann erfahren Sie, wo die Politikwissenschafterin die grössten Herausforderungen ausmacht bei der Umsetzung der Schweizer Energiestrategie.

Irene M. Wrabel
19. März 2023
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Foto: zVg - R. Ruis - Prof. Dr. Isabelle Stadelmann ist Professorin für Vergleichende Politik am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern.
Zum ersten Teil des Interviews

Über Prof. Dr. Isabelle Stadelmann-Steffen

Isabelle Stadelmann-Steffen ist Professorin für Vergleichende Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der öffentlichen Politik, der direkten Demokratie sowie der politischen Verhaltens- und Einstellungsforschung. In ihren Forschungsprojekten bearbeitet sie unter anderem die Schnittstellen zwischen diesen Schwerpunkten. So untersucht sie beispielsweise, wie Politikinhalte zum Beispiel in der Energiepolitik die politischen Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen.

Isabelle Stadelmann-Steffen ist Professorin für Vergleichende Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der öffentlichen Politik, der direkten Demokratie sowie der politischen Verhaltens- und Einstellungsforschung. In ihren Forschungsprojekten bearbeitet sie unter anderem die Schnittstellen zwischen diesen Schwerpunkten. So untersucht sie beispielsweise, wie Politikinhalte zum Beispiel in der Energiepolitik die politischen Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen.

Die Schweizer Energieversorgung soll bis 2050 elektrifiziert werden. Gleichzeitig muss die Stromversorgung jederzeit gesichert sein. Wie ist die Bevölkerung angesichts dieser Herausforderung eingestellt?

Es gibt zwei Argumentationslinien: Bei Energieknappheit kann einerseits die Akzeptanz gegenüber alten «sicheren» Energien wie fossile Energien wieder steigen. Andererseits kann aber auch die Offenheit, neue Technologien mit einheimischen Energien offensiver zu verfolgen, noch grösser werden. Wir haben im Oktober/November 2022 im Rahmen von Sweet Edge* eine Umfrage dazu gemacht und festgestellt, dass die Bevölkerung sowohl die Energie-Sicherheit als auch die Energie-Unabhängigkeit als sehr wichtig erachtet. Aber was ebenfalls hoch gewichtet wird, ist, die Klimaziele dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Entsprechend wird gefordert, den CO2-Ausstoss nicht im Ausland zu kompensieren. Das spricht für mich eher dafür, dass aktuell die zweite Argumentationslinie im Aufwind ist. Dies eröffnet möglicherweise ein Fenster, um mit den erneuerbaren Energien schneller voranzukommen. Allerdings kann sich das bei sich verändernder Energielage möglicherweise auch rasch wieder verändern.

*SWEET EDGE ist ein Forschungsprojekt, das vom «SWEET»-Programm (SWiss Energy research for the Energy Transition) des Bundesamts für Energie gefördert und von der Gruppe für erneuerbare Energiesysteme der Universität Genf (UNIGE) und dem Labor für Kryosphärenwissenschaften der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) koordiniert wird. Es zielt darauf ab, den Einsatz von erneuerbaren Energien, lokal und dezentral in der Schweiz, zu beschleunigen.

Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt.

Wo liegt die Schmerzgrenze der Bevölkerung?

Das ist die zentrale Frage für uns. Es gibt einen Widerspruch zwischen den als wirkungsvoll beurteilten Massnahmen und dem, was die Bevölkerung zu akzeptieren bereit ist. Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt. Die Kostenresilienz in der Bevölkerung ist nach wie vor sehr gering.

Man muss zudem unterscheiden zwischen Bereichen, in denen Einzelne etwas bewirken können und grossen Projekten, bei denen die Individuen nicht selbst agieren. In letzterem Bereich geht es vor allem um Einsprachen. Bei der Photovoltaik etwa ist zwar der Einzelne gefragt, aber wir sind nun mal ein Volk von Mieter:innen. Bei den Eigenheimbesitzer:innen müsste wohl noch mehr im Bereich Subventionen geschehen, damit sich die Investition in solche Anlagen auch kurzfristig und überall lohnt. Negative Anreize hingegen müssen beseitigt werden, wie etwa das Bruttoprinzip bei der Besteuerung von Einnahmen in manchen Kantonen. Damit wird der selbst produzierte Strom besteuert, das ist der Bevölkerung nicht vermittelbar.

Mit welchen Massnahmen und Argumenten kann die Politik die Bevölkerung erreichen?

Es braucht wohl von allem etwas, gute Anreizstrukturen, aber teilweise auch strikte Verbote und Gebote. Das Massnahmenpaket Energiestrategie 2050 sah vor, am Anfang auf Förderung zu setzen, dann zunehmend durch Anreize zu lenken. Seit zehn Jahren gibt es als Lenkungsinstrument die CO2-Abgaben. Doch dieses steuert kaum, denn die Abgaben müssten viel höher sein, um für Haushalte sichtbar zu werden und Verhalten zu ändern. Vor der aktuellen Krise wurde oft argumentiert, dass eine Steuer auf Treibstoff dazu führen würde, dass sich viele Menschen das Autofahren nicht mehr leisten könnten und sie deshalb gezwungenermassen deutlich weniger Autofahren würden.

Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren möglicherweise besser

Doch was ist jetzt passiert? Obwohl die Treibstoffpreise zwischenzeitlich höher waren als unter verschiedenen Steuerszenarien diskutiert, gab und gibt es praktisch keine Verhaltensänderung. Um das Verhalten zu ändern, müssten die Preise also so hoch sein, dass sie zumindest Teile der Bevölkerung vor ein echtes finanzielles Problem stellen würden. Das ist politisch problematisch und nicht durchsetzbar, weil es natürlich soziale Ungleichheit fördert. Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren deshalb möglicherweise besser. Wenn beispielsweise die Vorschrift existiert, dass jeder Neubau eine PV-Anlage haben muss, dann muss das eben umgesetzt werden. Da sehe ich aktuell die grösseren Chancen. Und trotzdem braucht es wie gesagt wohl einen Mix unterschiedlicher Instrumente, um die Klimaziele zu erreichen.

Die Schweizer Energieversorgung soll bis 2050 elektrifiziert werden. Gleichzeitig muss die Stromversorgung jederzeit gesichert sein. Wie ist die Bevölkerung angesichts dieser Herausforderung eingestellt?

Es gibt zwei Argumentationslinien: Bei Energieknappheit kann einerseits die Akzeptanz gegenüber alten «sicheren» Energien wie fossile Energien wieder steigen. Andererseits kann aber auch die Offenheit, neue Technologien mit einheimischen Energien offensiver zu verfolgen, noch grösser werden. Wir haben im Oktober/November 2022 im Rahmen von Sweet Edge* eine Umfrage dazu gemacht und festgestellt, dass die Bevölkerung sowohl die Energie-Sicherheit als auch die Energie-Unabhängigkeit als sehr wichtig erachtet. Aber was ebenfalls hoch gewichtet wird, ist, die Klimaziele dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Entsprechend wird gefordert, den CO2-Ausstoss nicht im Ausland zu kompensieren. Das spricht für mich eher dafür, dass aktuell die zweite Argumentationslinie im Aufwind ist. Dies eröffnet möglicherweise ein Fenster, um mit den erneuerbaren Energien schneller voranzukommen. Allerdings kann sich das bei sich verändernder Energielage möglicherweise auch rasch wieder verändern.

*SWEET EDGE ist ein Forschungsprojekt, das vom «SWEET»-Programm (SWiss Energy research for the Energy Transition) des Bundesamts für Energie gefördert und von der Gruppe für erneuerbare Energiesysteme der Universität Genf (UNIGE) und dem Labor für Kryosphärenwissenschaften der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) koordiniert wird. Es zielt darauf ab, den Einsatz von erneuerbaren Energien, lokal und dezentral in der Schweiz, zu beschleunigen.

Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt.

Wo liegt die Schmerzgrenze der Bevölkerung?

Das ist die zentrale Frage für uns. Es gibt einen Widerspruch zwischen den als wirkungsvoll beurteilten Massnahmen und dem, was die Bevölkerung zu akzeptieren bereit ist. Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt. Die Kostenresilienz in der Bevölkerung ist nach wie vor sehr gering.

Man muss zudem unterscheiden zwischen Bereichen, in denen Einzelne etwas bewirken können und grossen Projekten, bei denen die Individuen nicht selbst agieren. In letzterem Bereich geht es vor allem um Einsprachen. Bei der Photovoltaik etwa ist zwar der Einzelne gefragt, aber wir sind nun mal ein Volk von Mieter:innen. Bei den Eigenheimbesitzer:innen müsste wohl noch mehr im Bereich Subventionen geschehen, damit sich die Investition in solche Anlagen auch kurzfristig und überall lohnt. Negative Anreize hingegen müssen beseitigt werden, wie etwa das Bruttoprinzip bei der Besteuerung von Einnahmen in manchen Kantonen. Damit wird der selbst produzierte Strom besteuert, das ist der Bevölkerung nicht vermittelbar.

Mit welchen Massnahmen und Argumenten kann die Politik die Bevölkerung erreichen?

Es braucht wohl von allem etwas, gute Anreizstrukturen, aber teilweise auch strikte Verbote und Gebote. Das Massnahmenpaket Energiestrategie 2050 sah vor, am Anfang auf Förderung zu setzen, dann zunehmend durch Anreize zu lenken. Seit zehn Jahren gibt es als Lenkungsinstrument die CO2-Abgaben. Doch dieses steuert kaum, denn die Abgaben müssten viel höher sein, um für Haushalte sichtbar zu werden und Verhalten zu ändern. Vor der aktuellen Krise wurde oft argumentiert, dass eine Steuer auf Treibstoff dazu führen würde, dass sich viele Menschen das Autofahren nicht mehr leisten könnten und sie deshalb gezwungenermassen deutlich weniger Autofahren würden.

Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren möglicherweise besser

Doch was ist jetzt passiert? Obwohl die Treibstoffpreise zwischenzeitlich höher waren als unter verschiedenen Steuerszenarien diskutiert, gab und gibt es praktisch keine Verhaltensänderung. Um das Verhalten zu ändern, müssten die Preise also so hoch sein, dass sie zumindest Teile der Bevölkerung vor ein echtes finanzielles Problem stellen würden. Das ist politisch problematisch und nicht durchsetzbar, weil es natürlich soziale Ungleichheit fördert. Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren deshalb möglicherweise besser. Wenn beispielsweise die Vorschrift existiert, dass jeder Neubau eine PV-Anlage haben muss, dann muss das eben umgesetzt werden. Da sehe ich aktuell die grösseren Chancen. Und trotzdem braucht es wie gesagt wohl einen Mix unterschiedlicher Instrumente, um die Klimaziele zu erreichen.

Wie politische Meinungen entstehen - mit Isabelle Stadelmann

Wo weist die Energiestrategie des Bundesrats Ihrer Meinung nach Defizite auf, was müsste man korrigieren?

Die Umsetzung. Mit griffigen Massnahmen, die eben nötig wären für die Umsetzung, kommen wir nicht voran, solange das Thema stark von politischen Positionen und nicht von Sachinformationen beherrscht ist. Wir haben zum Thema Lenkungssteuer ein Experiment durchgeführt. Dabei haben wir die Befragten zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe A wurde nur kommuniziert, dass es eine neue Steuer geben wird, Gruppe B wurde ein konkretes Rechenbeispiel gegeben, das belegte, dass einkommensschwächere Bevölkerungsschichten davon profitieren. Es zeigte sich, dass gerade Personen aus unteren Einkommensgruppen in Gruppe B deutlich höhere Unterstützung für diese Steuer aufwiesen als in Gruppe A. Weitergehende Analysen zeigten aber deutlich, dass diese Information nur so lange «wirkte», bis die Befragten informiert wurden, dass diese Steuer politisch umstritten ist. Das Sachargument wurde also vom politischen Konflikt übersteuert.

Wenn negative Positionen erst einmal gesetzt sind, kann man mit anderen Argumenten kaum noch entgegenwirken.

Eine Herausforderung in direktdemokratischen Prozessen ist zudem, dass die Stimmung kurz vor Abstimmungen jeweils sehr aufgeheizt ist. Kurze, knackige und meist negative Statements erreichen da die Menschen viel schneller, diese dominieren dann das Geschehen. Wenn negative Positionen erst einmal gesetzt sind, kann man mit anderen Argumenten kaum noch entgegenwirken. Die Abstimmung zum CO2-Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür. Es ging fast ausschliesslich um die Kosten, andere Sachargumente fehlten. Bei solchen Themen muss stärker über die Ziele kommuniziert werden und weniger über die Kosten. Wir versuchen herauszufinden, ob es hilft, solche Debatten anders zu framen, also den Nutzen stärker zu betonen. Es geht wohlgemerkt nicht um Manipulation, sondern um ein umfassendes Bild, das auch die längerfristigen Folgen von Vorlagen stärker betont. Die Politik hat da eine hohe Verantwortung.

Nach Fukushima war die Ablehnung der Kernkraft so gross wie nie. Angesichts drohender Energieknappheit scheint diese Ablehnung wieder zu schrumpfen. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?

Ja, der Anteil derer, die Kernkraft ablehnen, ist 2022 im Vergleich zu 2016 geschrumpft, man ist weniger stark dagegen. Aber es ist auch nicht so, dass plötzlich alle wieder Kernkraft wollen. Meine grösste Befürchtung ist, dass diese Diskussion an der aktuellen Situation vorbeigeht. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist in den nächsten 20 bis 30 Jahren gemäss Expert:innen nicht realisierbar – eine Diskussion über Kernkraft lenkt also zu einem gewissen Teil von jenen Technologien ab, die schneller umgesetzt werden können.

Welche sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Hier möchte ich zwischen technischen und gesellschaftlichen Innovationen unterscheiden, mein Fachgebiet liegt im gesellschaftlichen Bereich. Was die Technologien angeht, muss vor allem im Bereich der Stromspeicherung noch viel geschehen. Wenn dieses Problem gelöst werden könnte, wäre aus meiner Sicht schon viel gewonnen. Gesellschaftlich muss man der Energiefrage eine noch höhere Priorität zusprechen. Zeitlich beschränkte Erleichterungen oder Förderungen können da vielversprechende Instrumente sein. Und vor allem ist sachliche Information und Debatte wichtig: Wir müssen es schaffen, dass möglichst breit und faktenbasiert über Alternativen diskutiert wird.

Zum Abschluss noch ein paar persönliche Gedanken zur Frage «Die Energiewende bedeutet für mich…?» 

…auch persönlich eine grosse Herausforderung. Das Wichtigste ist, dass wir begreifen, dass wir es alle in der Hand haben. Das Argument, man selbst als Einzelperson könne nichts bewirken, zählt nicht. Denn eine erfolgreiche Energiewende bedeutet, dass jede und jeder Einzelne Verantwortung übernimmt.

Wo weist die Energiestrategie des Bundesrats Ihrer Meinung nach Defizite auf, was müsste man korrigieren?

Die Umsetzung. Mit griffigen Massnahmen, die eben nötig wären für die Umsetzung, kommen wir nicht voran, solange das Thema stark von politischen Positionen und nicht von Sachinformationen beherrscht ist. Wir haben zum Thema Lenkungssteuer ein Experiment durchgeführt. Dabei haben wir die Befragten zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe A wurde nur kommuniziert, dass es eine neue Steuer geben wird, Gruppe B wurde ein konkretes Rechenbeispiel gegeben, das belegte, dass einkommensschwächere Bevölkerungsschichten davon profitieren. Es zeigte sich, dass gerade Personen aus unteren Einkommensgruppen in Gruppe B deutlich höhere Unterstützung für diese Steuer aufwiesen als in Gruppe A. Weitergehende Analysen zeigten aber deutlich, dass diese Information nur so lange «wirkte», bis die Befragten informiert wurden, dass diese Steuer politisch umstritten ist. Das Sachargument wurde also vom politischen Konflikt übersteuert.

Wenn negative Positionen erst einmal gesetzt sind, kann man mit anderen Argumenten kaum noch entgegenwirken.

Eine Herausforderung in direktdemokratischen Prozessen ist zudem, dass die Stimmung kurz vor Abstimmungen jeweils sehr aufgeheizt ist. Kurze, knackige und meist negative Statements erreichen da die Menschen viel schneller, diese dominieren dann das Geschehen. Wenn negative Positionen erst einmal gesetzt sind, kann man mit anderen Argumenten kaum noch entgegenwirken. Die Abstimmung zum CO2-Gesetz ist ein gutes Beispiel dafür. Es ging fast ausschliesslich um die Kosten, andere Sachargumente fehlten. Bei solchen Themen muss stärker über die Ziele kommuniziert werden und weniger über die Kosten. Wir versuchen herauszufinden, ob es hilft, solche Debatten anders zu framen, also den Nutzen stärker zu betonen. Es geht wohlgemerkt nicht um Manipulation, sondern um ein umfassendes Bild, das auch die längerfristigen Folgen von Vorlagen stärker betont. Die Politik hat da eine hohe Verantwortung.

Nach Fukushima war die Ablehnung der Kernkraft so gross wie nie. Angesichts drohender Energieknappheit scheint diese Ablehnung wieder zu schrumpfen. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?

Ja, der Anteil derer, die Kernkraft ablehnen, ist 2022 im Vergleich zu 2016 geschrumpft, man ist weniger stark dagegen. Aber es ist auch nicht so, dass plötzlich alle wieder Kernkraft wollen. Meine grösste Befürchtung ist, dass diese Diskussion an der aktuellen Situation vorbeigeht. Der Bau neuer Kernkraftwerke ist in den nächsten 20 bis 30 Jahren gemäss Expert:innen nicht realisierbar – eine Diskussion über Kernkraft lenkt also zu einem gewissen Teil von jenen Technologien ab, die schneller umgesetzt werden können.

Welche sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Hier möchte ich zwischen technischen und gesellschaftlichen Innovationen unterscheiden, mein Fachgebiet liegt im gesellschaftlichen Bereich. Was die Technologien angeht, muss vor allem im Bereich der Stromspeicherung noch viel geschehen. Wenn dieses Problem gelöst werden könnte, wäre aus meiner Sicht schon viel gewonnen. Gesellschaftlich muss man der Energiefrage eine noch höhere Priorität zusprechen. Zeitlich beschränkte Erleichterungen oder Förderungen können da vielversprechende Instrumente sein. Und vor allem ist sachliche Information und Debatte wichtig: Wir müssen es schaffen, dass möglichst breit und faktenbasiert über Alternativen diskutiert wird.

Zum Abschluss noch ein paar persönliche Gedanken zur Frage «Die Energiewende bedeutet für mich…?» 

…auch persönlich eine grosse Herausforderung. Das Wichtigste ist, dass wir begreifen, dass wir es alle in der Hand haben. Das Argument, man selbst als Einzelperson könne nichts bewirken, zählt nicht. Denn eine erfolgreiche Energiewende bedeutet, dass jede und jeder Einzelne Verantwortung übernimmt.

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