«Nach 10'000 Jahren wird radioaktives Material freigesetzt»

Für Harald Jenny (USBT) wäre es verantwortungslos, tausenden von Generationen nach uns radioaktive Abfälle zu hinterlassen. Im Interview plädiert er für mehr Weitblick – gerade jetzt, wo sich innovative Technologien zur Entsorgung von Atommüll ankündigen.

Luc Descombes
7. Mai 2025
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Dr. Harald Jenny ist Physiker und Direktor des Schweizer Zentrums für Business und Technologie in Neuchâtel. Seit 2023 engagiert er sich als Projektleiter beim Nagra-kritischen «Unabhängigen Schweizer Begleitgremium Tiefenlager (USBT)» gegen das geplante Tiefenlager.

Harald Jenny, warum ist die Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle keine Lösung für unser Atommüll-Problem?

Die Frage kann ich sehr schnell und klar beantwortet: Es ist nicht möglich, sämtliche radioaktiven Stoffe über sehr lange Zeiträume einzuschliessen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Eidgenössischen Nuklearsicherheits-inspektorats (ENSI), die durch die Berechnungen der Nagra selbst bestätigt wird. Diese Erkenntnis spricht fundamental gegen die Tiefenlagerung von Abfällen aus der Kernenergie. Nach circa 10'000 Jahren kommt es demnach beim geplanten Tiefenlager zur Freisetzung von toxischem, radioaktivem Material in die Biosphäre. Mit anderen Worten: Durch die Tiefenlagerung lösen wir nicht ein Problem für künftige Generationen, wir schaffen eines. Und erst noch ein Grosses.

Wie riskant ist das Lagern hochradioaktiver Abfälle in einem Tiefenlager denn konkret?

Gegen Risiken kann man vieles unternehmen. Das wird bei der Planung des Tiefenlagers auch getan. Aber der Austritt von Material nach 10'000 Jahren stellt kein Risiko dar, sondern eine Gewissheit. Darum ist es eine Frage der Ethik und Moral, ob man eine Lösung mit solchem Ausgang künftigen Generationen wirklich zumuten darf. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir tausenden von Generationen nach uns radioaktive Abfälle hinterlassen wollen

Die Menge, die in 10'000 Jahren freigesetzt werden wird, ist so minim, dass sie den vom Bundesrat vorgegebenen maximalen Grenzwert um den Faktor 1000 unterschreitet.

Der Grenzwert ist aber willkürlich von uns festgesetzt. Schauen Sie sich die aktuelle Diskussion rund um die PFAS-Belastung* im Trinkwasser an. Hier will der Bund die Grenzwerte jetzt verschärfen. Solche Grenzwerte sind nicht in Stein gemeisselt. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob wir tausenden von Generationen nach uns zumuten können, dass zu deren Lebzeiten radioaktives und toxisches Material in die Biosphäre gelangt und sich im Lebensraum ansammeln kann. Ich bin klar der Meinung, dass wir das nicht tun sollten.

*Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen

Harald Jenny, warum ist die Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle keine Lösung für unser Atommüll-Problem?

Die Frage kann ich sehr schnell und klar beantwortet: Es ist nicht möglich, sämtliche radioaktiven Stoffe über sehr lange Zeiträume einzuschliessen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Eidgenössischen Nuklearsicherheits-inspektorats (ENSI), die durch die Berechnungen der Nagra selbst bestätigt wird. Diese Erkenntnis spricht fundamental gegen die Tiefenlagerung von Abfällen aus der Kernenergie. Nach circa 10'000 Jahren kommt es demnach beim geplanten Tiefenlager zur Freisetzung von toxischem, radioaktivem Material in die Biosphäre. Mit anderen Worten: Durch die Tiefenlagerung lösen wir nicht ein Problem für künftige Generationen, wir schaffen eines. Und erst noch ein Grosses.

Wie riskant ist das Lagern hochradioaktiver Abfälle in einem Tiefenlager denn konkret?

Gegen Risiken kann man vieles unternehmen. Das wird bei der Planung des Tiefenlagers auch getan. Aber der Austritt von Material nach 10'000 Jahren stellt kein Risiko dar, sondern eine Gewissheit. Darum ist es eine Frage der Ethik und Moral, ob man eine Lösung mit solchem Ausgang künftigen Generationen wirklich zumuten darf. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir tausenden von Generationen nach uns radioaktive Abfälle hinterlassen wollen

Die Menge, die in 10'000 Jahren freigesetzt werden wird, ist so minim, dass sie den vom Bundesrat vorgegebenen maximalen Grenzwert um den Faktor 1000 unterschreitet.

Der Grenzwert ist aber willkürlich von uns festgesetzt. Schauen Sie sich die aktuelle Diskussion rund um die PFAS-Belastung* im Trinkwasser an. Hier will der Bund die Grenzwerte jetzt verschärfen. Solche Grenzwerte sind nicht in Stein gemeisselt. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob wir tausenden von Generationen nach uns zumuten können, dass zu deren Lebzeiten radioaktives und toxisches Material in die Biosphäre gelangt und sich im Lebensraum ansammeln kann. Ich bin klar der Meinung, dass wir das nicht tun sollten.

*Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen

Wieso müssen radioaktive Abfälle so lange gelagert werden?

Weil sie über Jahrtausende hinweg gefährliche Strahlung abgeben. Viele radioaktive Isotope haben lange Halbwertszeiten, wie z.B. Plutonium-239 (über 24‘000 Jahre). Diese Strahlung kann gesundheitliche Schäden verursachen. Um die Umwelt und Menschen zu schützen, muss der Müll aktuell über lange Zeiträume in sicheren, geologisch stabilen Tiefenlagern isoliert werden, bis die Strahlung ausreichend abgeklungen ist.

Weil sie über Jahrtausende hinweg gefährliche Strahlung abgeben. Viele radioaktive Isotope haben lange Halbwertszeiten, wie z.B. Plutonium-239 (über 24‘000 Jahre). Diese Strahlung kann gesundheitliche Schäden verursachen. Um die Umwelt und Menschen zu schützen, muss der Müll aktuell über lange Zeiträume in sicheren, geologisch stabilen Tiefenlagern isoliert werden, bis die Strahlung ausreichend abgeklungen ist.

Welche Alternativen existieren denn für Sie?

Das Nagra-Konzept beruht auf dem Prinzip «Vergraben und vergessen». Es ist ein Konzept des letzten Jahrhunderts, als man unliebsame Materialien noch in Deponien vergrub. Später musste man sie dann mühsam wieder herausholen. Beispiele dafür liefern die Deponie in Kölliken oder die Alusuisse-Deponien im Wallis. Die Sanierung der Walliser Deponien habe ich selbst miterlebt. Unterdessen hat sich glücklicherweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Materialkreisläufe schliessen muss, um nachhaltig zu sein. Das gilt auch für radioaktive Abfälle. Es existieren bereits erfolgversprechende Ansätze dafür. Im Moment spricht alles von der Transmutation, also dem Umwandeln langlebiger in kurzlebige Abfälle. Deutlich weniger Material, während 800 Jahren sicher zu lagern, ist eine ganz andere Aufgabe, als viel Material während Jahrhunderttausenden vor sich hinmotten zu lassen. Wir stehen meines Erachtens an der Schwelle eines grossen Innovationsschubs, wodurch ein Paradigmenwechsel in der Verarbeitung atomarer Abfälle in greifbare Nähe rückt.

Die Transmutation muss keinesfalls den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten

Hand aufs Herz: Geht es Ihnen bei Ihren Forderungen nicht auch um den Wiedereinstieg in die Kernenergie? Für die Transmutation bräuchte es bekanntlich neuartige Reaktoren.

Die Transmutation könnte ein Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten, muss sie aber keinesfalls. Niemand sagt, dass die Transmutation in der Schweiz erfolgen muss. Gemäss heute gültigem Kernenergiegesetz ist die Entsorgung explizit auch dann erbracht, wenn das Material in eine Aufbereitungsanlage im Ausland überbracht worden ist. Die Schweiz könnte also das Problem auch zusammen mit ihren Nachbarstaaten in einer gemeinsamen Aufbereitungsanlage beispielsweise in Frankreich lösen.

Auch nach dieser Transmutation von Brennstäben würde noch hoch-radioaktiver Abfall übrigbleiben. Dieser muss dann ebenfalls lange gelagert werden. Wie man es also dreht und wendet: wir brauchen doch in jedem Fall ein Tiefenlager?

Durch die Transmutation verändert sich die Zusammensetzung der Isotope in den Brennstäben. Es ist richtig, dass dann immer noch hochradioaktiver Abfall übrigbleibt, den man lagern muss. Doch diese Abfälle unterscheiden sich fundamental von dem aktuell einzulagernden hochradioaktiven Abfall. Nach Transmutation müsste der Abfall weder hunderttausende von Jahren noch auf 800 Metern Tiefe gelagert werden. Es bleibt grösstenteils schwach- bis mittelradioaktiver Abfall übrig. Der Rest an hochradioaktivem Abfall zerfällt viel schneller, innert ein paar hundert Jahren. Für dessen Lagerung benötigen wir kein Tiefenlager, wie es jetzt von der Nagra geplant wird,und es tritt auch nach 10'000 Jahren keine Radioaktivität mehr in die Biosphäre über.

Niemand würde eine Rückholung finanzieren, wenn das Material dereinst im Endlager ist

Wie würden Sie nach aktuellem Kenntnisstand vorgehen?

Die Nagra drängt darauf, das Problem des Abfalls jetzt und sofort zu lösen. Aber in einem Projekt, das sich über eine Million Jahre bewähren muss, kommt es auf ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger gewiss nicht an. Unser Motto muss daher sein: «Hüten und Forschen». Man kann das radioaktive Material in seiner heutigen Form sehr gut noch ein paar Jahrzehnte hüten. Wenn nicht im Zwischenlager in Würenlingen, dann zum Beispiel in nicht mehr benutzten Armeekavernen in den Alpen. Das Budget für die Entsorgung beträgt mehr als 20 Milliarden Franken. Einen Teil dieses Geldes muss man jetzt in die Forschung und Entwicklung investieren. So können wir erfolgversprechende Technologien zur Reife führen, um den Materialkreislauf damit effektiv zu schliessen. Die Transmutation ist eine dieser Technologien.

Welche Alternativen existieren denn für Sie?

Das Nagra-Konzept beruht auf dem Prinzip «Vergraben und vergessen». Es ist ein Konzept des letzten Jahrhunderts, als man unliebsame Materialien noch in Deponien vergrub. Später musste man sie dann mühsam wieder herausholen. Beispiele dafür liefern die Deponie in Kölliken oder die Alusuisse-Deponien im Wallis. Die Sanierung der Walliser Deponien habe ich selbst miterlebt. Unterdessen hat sich glücklicherweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Materialkreisläufe schliessen muss, um nachhaltig zu sein. Das gilt auch für radioaktive Abfälle. Es existieren bereits erfolgversprechende Ansätze dafür. Im Moment spricht alles von der Transmutation, also dem Umwandeln langlebiger in kurzlebige Abfälle. Deutlich weniger Material, während 800 Jahren sicher zu lagern, ist eine ganz andere Aufgabe, als viel Material während Jahrhunderttausenden vor sich hinmotten zu lassen. Wir stehen meines Erachtens an der Schwelle eines grossen Innovationsschubs, wodurch ein Paradigmenwechsel in der Verarbeitung atomarer Abfälle in greifbare Nähe rückt.

Die Transmutation muss keinesfalls den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten

Hand aufs Herz: Geht es Ihnen bei Ihren Forderungen nicht auch um den Wiedereinstieg in die Kernenergie? Für die Transmutation bräuchte es bekanntlich neuartige Reaktoren.

Die Transmutation könnte ein Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten, muss sie aber keinesfalls. Niemand sagt, dass die Transmutation in der Schweiz erfolgen muss. Gemäss heute gültigem Kernenergiegesetz ist die Entsorgung explizit auch dann erbracht, wenn das Material in eine Aufbereitungsanlage im Ausland überbracht worden ist. Die Schweiz könnte also das Problem auch zusammen mit ihren Nachbarstaaten in einer gemeinsamen Aufbereitungsanlage beispielsweise in Frankreich lösen.

Auch nach dieser Transmutation von Brennstäben würde noch hoch-radioaktiver Abfall übrigbleiben. Dieser muss dann ebenfalls lange gelagert werden. Wie man es also dreht und wendet: wir brauchen doch in jedem Fall ein Tiefenlager?

Durch die Transmutation verändert sich die Zusammensetzung der Isotope in den Brennstäben. Es ist richtig, dass dann immer noch hochradioaktiver Abfall übrigbleibt, den man lagern muss. Doch diese Abfälle unterscheiden sich fundamental von dem aktuell einzulagernden hochradioaktiven Abfall. Nach Transmutation müsste der Abfall weder hunderttausende von Jahren noch auf 800 Metern Tiefe gelagert werden. Es bleibt grösstenteils schwach- bis mittelradioaktiver Abfall übrig. Der Rest an hochradioaktivem Abfall zerfällt viel schneller, innert ein paar hundert Jahren. Für dessen Lagerung benötigen wir kein Tiefenlager, wie es jetzt von der Nagra geplant wird,und es tritt auch nach 10'000 Jahren keine Radioaktivität mehr in die Biosphäre über.

Niemand würde eine Rückholung finanzieren, wenn das Material dereinst im Endlager ist

Wie würden Sie nach aktuellem Kenntnisstand vorgehen?

Die Nagra drängt darauf, das Problem des Abfalls jetzt und sofort zu lösen. Aber in einem Projekt, das sich über eine Million Jahre bewähren muss, kommt es auf ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger gewiss nicht an. Unser Motto muss daher sein: «Hüten und Forschen». Man kann das radioaktive Material in seiner heutigen Form sehr gut noch ein paar Jahrzehnte hüten. Wenn nicht im Zwischenlager in Würenlingen, dann zum Beispiel in nicht mehr benutzten Armeekavernen in den Alpen. Das Budget für die Entsorgung beträgt mehr als 20 Milliarden Franken. Einen Teil dieses Geldes muss man jetzt in die Forschung und Entwicklung investieren. So können wir erfolgversprechende Technologien zur Reife führen, um den Materialkreislauf damit effektiv zu schliessen. Die Transmutation ist eine dieser Technologien.

Die Nagra hat aber den gesetzlichen Auftrag, jetzt an einer Lösung für ein Tiefenlager zu arbeiten. Gegen wen richtet sich also Ihre Kritik – Nagra oder Bundesrat?

Das Kernenergiegesetz schreibt keine Zeitgrenze vor. Es besagt, dass die Entsorgungspflicht erfüllt ist, wenn das Material entweder sicher gelagert oder in eine Aufbereitungsanlage im Ausland verbracht ist. Den Zeitdruck macht die Nagra selbst, weil sie das Problem Abfall mit allen finanziellen Konsequenzen an den Bund abtreten kann, sobald die Einlagerung erfolgt ist. Das Lager muss dazu noch nicht einmal verschlossen sein. Die Kritik richtet sich deshalb primär an die Nagra, welche stur die Tiefenlagerung durchsetzen will, ohne ernsthaft Alternativen zu prüfen. Parallel dazu wächst die Einsicht, dass man das Kernenergiegesetz um die neuen Konzepte für geschlossene Materialkreisläufe erweitern muss. Ein Teil des Entsorgungsfonds muss jetzt der Erforschung und Entwicklung von innovativen Technologien zukommen

Es wäre doch relativ einfach, die Abfälle wieder aus dem Tiefenlager herauszuholen, sollten dereinst tatsächlich innovative Technologien Marktreife erlangen?

Technisch ist die Rückholung möglich, ja. Das Problem ist die Finanzierung. Das Geld im Entsorgungsfonds reicht nur bis zum Verschluss des Lagers. Die teure Rückholung müsste mit neuen Mitteln finanziert werden. Es würde sich aber niemand finden lassen, der ein solch unrentables Geschäft finanziert, solange es an der Oberfläche neue Uran- oder Thoriumvorräte gibt. Und davon gibt es mehr als genug. Ist das Material einmal vergraben, wird es, Notfälle ausgenommen, niemand mehr herausholen.
 

Sie sind im Austausch mit Unternehmen, die an innovativen Technologien für das Rezyklieren von radioaktiven Abfällen arbeiten. Wie rasch glauben Sie an die Marktreife solcher Lösungen?

Das hängt wesentlich von den zur Verfügung gestellten Mitteln ab. Diese fliessen noch viel zu spärlich. Deshalb fordern wir, einen Teil der im Entsorgungsfonds vorhandenen Mittel für die Erforschung und Entwicklung dieser Technologien freizugeben.  

Was ist ihre Botschaft an die Befürworterinnen und Befürworter des Tiefenlagers Nördlich Lägern?

Denkt langfristig. Die Abfallproblematik erfordert es, in Zeitdimensionen zu denken, die man kaum erfassen kann. Für uns Menschen sind zum Beispiel die Pyramiden in Ägypten uralt. Doch 5000 Jahre sind im Vergleich zu der bis zu einer Million Jahre langen Lagerungsdauer im Tiefenlager ein Klacks. Darum dürfen wir die Einwegstrasse in Richtung Vergraben und Vergessen nicht blindlings weiterverfolgen. Wir wissen schon heute mit Sicherheit, dass das Material nach 10'000 Jahren auszutreten beginnt. In Anbetracht dieser Tatsache wäre es unverantwortlich, sich nicht seriös um Alternativen zu kümmern.

Die Nagra hat aber den gesetzlichen Auftrag, jetzt an einer Lösung für ein Tiefenlager zu arbeiten. Gegen wen richtet sich also Ihre Kritik – Nagra oder Bundesrat?

Das Kernenergiegesetz schreibt keine Zeitgrenze vor. Es besagt, dass die Entsorgungspflicht erfüllt ist, wenn das Material entweder sicher gelagert oder in eine Aufbereitungsanlage im Ausland verbracht ist. Den Zeitdruck macht die Nagra selbst, weil sie das Problem Abfall mit allen finanziellen Konsequenzen an den Bund abtreten kann, sobald die Einlagerung erfolgt ist. Das Lager muss dazu noch nicht einmal verschlossen sein. Die Kritik richtet sich deshalb primär an die Nagra, welche stur die Tiefenlagerung durchsetzen will, ohne ernsthaft Alternativen zu prüfen. Parallel dazu wächst die Einsicht, dass man das Kernenergiegesetz um die neuen Konzepte für geschlossene Materialkreisläufe erweitern muss. Ein Teil des Entsorgungsfonds muss jetzt der Erforschung und Entwicklung von innovativen Technologien zukommen

Es wäre doch relativ einfach, die Abfälle wieder aus dem Tiefenlager herauszuholen, sollten dereinst tatsächlich innovative Technologien Marktreife erlangen?

Technisch ist die Rückholung möglich, ja. Das Problem ist die Finanzierung. Das Geld im Entsorgungsfonds reicht nur bis zum Verschluss des Lagers. Die teure Rückholung müsste mit neuen Mitteln finanziert werden. Es würde sich aber niemand finden lassen, der ein solch unrentables Geschäft finanziert, solange es an der Oberfläche neue Uran- oder Thoriumvorräte gibt. Und davon gibt es mehr als genug. Ist das Material einmal vergraben, wird es, Notfälle ausgenommen, niemand mehr herausholen.
 

Sie sind im Austausch mit Unternehmen, die an innovativen Technologien für das Rezyklieren von radioaktiven Abfällen arbeiten. Wie rasch glauben Sie an die Marktreife solcher Lösungen?

Das hängt wesentlich von den zur Verfügung gestellten Mitteln ab. Diese fliessen noch viel zu spärlich. Deshalb fordern wir, einen Teil der im Entsorgungsfonds vorhandenen Mittel für die Erforschung und Entwicklung dieser Technologien freizugeben.  

Was ist ihre Botschaft an die Befürworterinnen und Befürworter des Tiefenlagers Nördlich Lägern?

Denkt langfristig. Die Abfallproblematik erfordert es, in Zeitdimensionen zu denken, die man kaum erfassen kann. Für uns Menschen sind zum Beispiel die Pyramiden in Ägypten uralt. Doch 5000 Jahre sind im Vergleich zu der bis zu einer Million Jahre langen Lagerungsdauer im Tiefenlager ein Klacks. Darum dürfen wir die Einwegstrasse in Richtung Vergraben und Vergessen nicht blindlings weiterverfolgen. Wir wissen schon heute mit Sicherheit, dass das Material nach 10'000 Jahren auszutreten beginnt. In Anbetracht dieser Tatsache wäre es unverantwortlich, sich nicht seriös um Alternativen zu kümmern.

TalkTäglich mit Harald Jenny

Was aber, wenn die Technologie erst später marktreif wird und wir schon alles eingelagert und versiegelt haben?

Auch für diesen Fall sind wir mit dem Tiefenlager gewappnet: Wir dürfen die Abfälle nur einlagern, wenn wir zeigen können, dass wir sie auch wieder zurückholen können. Sollten aber doch keine innovativen Technologien zur Reduktion radioaktiver Abfälle marktreif werden und wir haben die Zwischenzeit ungenutzt verstreichen lassen, dann wäre das verantwortungslos.

Die Transmutation würde auch den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten

Man hört jedoch, dass die Technologie der Transmutation kurz vor der Marktreife steht. Findet das Thema bei der Nagra eventuell etwas zu wenig Gehör?

Alle, die hier bei der Nagra arbeiten, wollen das grosse Problem mit dem Atommüll sauber und sicher lösen. Die Nagra hat nicht zu entscheiden, auf welchem Weg wir das tun und genauso wenig wollen wir unbedingt ein Tiefenlager bauen. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, dies zu tun. Diesen setzen wir nach bestem Wissen und Gewissen um. Setzt sich eine neue Technologie durch und die Politik kommt zur Ansicht, dass diese eine noch bessere Lösung darstellt, dann wird man das Gesetz entsprechend anpassen. Dann ändert sich auch unser Auftrag. Bis jetzt hat sich weltweit kein Land dafür entschieden, auf Transmutation statt auf Tiefenlagerung zu setzen. Was die Befürworterinnen und Befürworter der Transmutation manchmal nicht auf dem Schirm haben: Die Transmutation würde den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten. Dafür bräuchte es den politischen Willen. Und wenn wir über Risiken der Tiefenlagerung sprechen, sollten wir ehrlich sein und auch die Risiken der Transmutation und dem damit einhergehenden Bau neuer Kernreaktoren thematisieren.

Kritik macht das Tiefenlager besser

Was ist ihre Botschaft an die Kritikerinnen und Kritiker des Tiefenlagers?

Hinterfragt uns und die Art wie wir arbeiten weiterhin. Das ist gut so. Denn diese Kritik macht uns und das ganze Projekt besser. Sie zwingt uns dazu, uns immer wieder selbst zu hinterfragen und hat bereits dazu geführt, dass wir gewisse Teilvorhaben angepasst haben. Die Verpackungsanlage zum Beispiel, in der man die Brennstäbe in Endlagerbehälter umpacken wird, planen wir dank kritischer Stimmen nicht mehr beim Endlager in Stadel, sondern neu beim Zwischenlager in Würenlingen. Dadurch können wir Synergien nutzen und die Prozesse sinnvoller gestalten. So haben Kritikerinnen und Kritiker unser Jahrhundertprojekt bereits verbessert. Trotzdem gibt es aktuell keinen Grund dafür, das ganze Vorhaben einzufrieren und abzuwarten. Wir arbeiten an der optimalen Lösung und bleiben flexibel und offen für technologische Innovation.

Was aber, wenn die Technologie erst später marktreif wird und wir schon alles eingelagert und versiegelt haben?

Auch für diesen Fall sind wir mit dem Tiefenlager gewappnet: Wir dürfen die Abfälle nur einlagern, wenn wir zeigen können, dass wir sie auch wieder zurückholen können. Sollten aber doch keine innovativen Technologien zur Reduktion radioaktiver Abfälle marktreif werden und wir haben die Zwischenzeit ungenutzt verstreichen lassen, dann wäre das verantwortungslos.

Die Transmutation würde auch den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten

Man hört jedoch, dass die Technologie der Transmutation kurz vor der Marktreife steht. Findet das Thema bei der Nagra eventuell etwas zu wenig Gehör?

Alle, die hier bei der Nagra arbeiten, wollen das grosse Problem mit dem Atommüll sauber und sicher lösen. Die Nagra hat nicht zu entscheiden, auf welchem Weg wir das tun und genauso wenig wollen wir unbedingt ein Tiefenlager bauen. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, dies zu tun. Diesen setzen wir nach bestem Wissen und Gewissen um. Setzt sich eine neue Technologie durch und die Politik kommt zur Ansicht, dass diese eine noch bessere Lösung darstellt, dann wird man das Gesetz entsprechend anpassen. Dann ändert sich auch unser Auftrag. Bis jetzt hat sich weltweit kein Land dafür entschieden, auf Transmutation statt auf Tiefenlagerung zu setzen. Was die Befürworterinnen und Befürworter der Transmutation manchmal nicht auf dem Schirm haben: Die Transmutation würde den Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeuten. Dafür bräuchte es den politischen Willen. Und wenn wir über Risiken der Tiefenlagerung sprechen, sollten wir ehrlich sein und auch die Risiken der Transmutation und dem damit einhergehenden Bau neuer Kernreaktoren thematisieren.

Kritik macht das Tiefenlager besser

Was ist ihre Botschaft an die Kritikerinnen und Kritiker des Tiefenlagers?

Hinterfragt uns und die Art wie wir arbeiten weiterhin. Das ist gut so. Denn diese Kritik macht uns und das ganze Projekt besser. Sie zwingt uns dazu, uns immer wieder selbst zu hinterfragen und hat bereits dazu geführt, dass wir gewisse Teilvorhaben angepasst haben. Die Verpackungsanlage zum Beispiel, in der man die Brennstäbe in Endlagerbehälter umpacken wird, planen wir dank kritischer Stimmen nicht mehr beim Endlager in Stadel, sondern neu beim Zwischenlager in Würenlingen. Dadurch können wir Synergien nutzen und die Prozesse sinnvoller gestalten. So haben Kritikerinnen und Kritiker unser Jahrhundertprojekt bereits verbessert. Trotzdem gibt es aktuell keinen Grund dafür, das ganze Vorhaben einzufrieren und abzuwarten. Wir arbeiten an der optimalen Lösung und bleiben flexibel und offen für technologische Innovation.

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